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Wie viel CO2 dürfen wir noch ausstoßen?

Diese Frage wird oft gestellt, deshalb ist es wert sich dieser Frage zu widmen. Wahrscheinlich haben viele davon gehört: Im Jahr 2018 erschien der Sonderreport des Weltklimarates zum in Paris 2015 vereinbarten 1,5°-Ziel. In diesem Report wurden Zahlen veröffentlicht, wie viel CO2 noch emittiert werden kann um mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eine Temperaturgrenze einzuhalten. Um z. B. das 1,5°-Ziel mit 67%-iger Wahrscheinlichkeit zu erreichen betrug das weltweite CO2-Budget ab Anfang 2018 420 Gt.

Was bedeuten nun diese Zahlen?

Dabei ging es erst mal nur um CO2. Für andere Klimagase wie Methan, welches bei der industriellen Tierhaltung, bei Erdgasförderung und -Transport sowie im tauenden Permafrostboden entweicht, oder Lachgas aus der Landwirtschaft wurden weitere Annahmen gemacht. Mit solchen Annahmen werden dann Klimasimulationen durchgeführt und aufgrund sehr vieler Durchläufe und einer Variation der Annahmen eine Wahrscheinlichkeit ausgerechnet. Üblicherweise veröffentlicht man in der Wissenschaft die Werte für 67 %, 50 % und 33 %.

67 % ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ich mit einem Würfel eine Zahl zwischen 1 und 4 würfele. Alle, die mal „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt haben, wissen: Eine 5 oder 6 kommt durchaus vor, auch wenn man nur einmal würfelt. Würde ein Arzt mir sagen, dass die Wahrscheinlich für den Erfolg einer wichtigen Behandlung bei 67 % liegt– ich würde mich damit nicht wohlfühlen und würde ihn fragen, ob es nicht auch eine Behandlung mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit gibt. Ich vermute, die meisten würden das tun.

Kommen wir dazu, was sich für Deutschland aus diesem weltweiten Budget ableiten lässt: Der Sachverständigenrat der Bundesregierung (SRU) rechnet in seinem Umweltgutachten 2020 ein Budget für Deutschland aus: Dies beträgt 6,7 Gt C02 für 67 % Wahrscheinlichkeit und 1,75° ab Anfang 2020. Bei unseren jetzigen Jahresemissionen an CO2 reicht dieses Budget rund 9 Jahre, emittieren wir weniger, haben wir entsprechend länger Zeit, aber auch nur für 1,75°, nicht für 1,5°. In jedem Fall ergibt sich für die Deutschen Klimaziele: Klimaneutralität 2050 ist viel zu spät, ebenso ist Kohleausstieg 2038 zu spät.

Beim CO2 kommt es nicht auf das Datum der Emissionsfreiheit an, sondern auf die insgesamt ausgestossene Menge an CO2. Der SRU zeigt verschiene Emissionspfade un ob sie mit dem Pariser Klimaschutzabkommen vereinbar sind.
Das ausführliche Gutachten ist unter https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Kap_02_Pariser_Klimaziele.pdf?__blob=publicationFile&v=21
abrufbar.

Eine wesentliche Annahme bei der Berechnung des deutschen Budgets ist: Das weltweite Budget ab 2016, also nach dem Pariser Beschluss, wird gleich auf alle Menschen aufgeteilt. Die historischen Emissionen vor 2016 werden also nicht berücksichtigt. Dabei haben allein Europa und die USA mehr als die Hälfte des seit Beginn der Industrialisierung insgesamt von Menschen ausgestoßenen CO2 verursacht, und schon 2007 erläuterte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages die sich daraus ergebene historische Verantwortung. In anderem Zusammenhang nennt man dies schlicht Verursacherprinzip. Wer einen Schaden verursacht, trägt die Verantwortung zur Schadensbehebung oder zur Wiedergutmachung.

Wenn wir also etwas mehr Sicherheit für den Erhalt unserer Lebensgrundlage als nur 67 % wollen und auch unsere historische Verantwortung für die Emission der Zeit vor 2016 anerkennen, dann kommen wir zum Schluss, dass wir unser CO2-Budget längst überzogen haben. Aus der Menge, die wir noch ausstoßen dürfen, ist damit ein Budget geworden, welches ein politisches Ziel ist und – wenn man den Vergleich zur Finanzwelt folgt – kreditfinanziert ist. Bleiben wir bei diesem Bild, so kann man sagen: Unsere Neuverschuldung an CO2 in Deutschland beträgt dieses Jahr rund 750 Mt. Und das Bedenkliche ist: Wir haben kein Konzept, wie dieser Kredit zurückgezahlt werden soll. Offensichtlich folgt daraus als erste Maßnahme:
Möglichst wenig neue Schulden machen. Also möglichst schnell die Emissionen senken.

Parallel müssen wir ein Konzept zur Schuldentilgung erarbeiten, die zweite Maßnahme ist also:

Kooperation mit den Menschen die uns etwas von Ihrem CO2-Guthaben abgeben könnten. Wenn es überhaupt Guthaben gibt, so haben dies Menschen in den Ländern des globalen Südens. Da sind wir beim Thema Klimagerechtigkeit. Aber es ist unklar, ob deren Guthaben überhaupt reicht, um unseren Kredit zu bezahlen. Wollen wir das 1,5°-Ziel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erreichen, gibt es weltweit evtl. gar kein „CO2-Guthaben“ mehr.

Deshalb müssen wir uns als dritte Maßnahme Gedanken machen, wie CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden kann. In der Wissenschaft nennt man das Negativemissionen (Mehr dazu gibt es z. B. beim Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change). Pflanzen können das zum Beispiel sehr gut. Solche Negativemissionen sind in den meisten Modellen zur Erreichung des 1,5°-Ziels in großem Maße in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts eingeplant. Unklar sind jedoch die technischen Details und die Finanzierung. Oft wird in diesem Zusammenhang die gasförmige unterirdische CO2-Speicherung genannt. Ich persönlich stehe dem sehr skeptisch gegenüber, aber es gibt andere Verfahren, die aus meiner Sicht besser, aber auch teuer sind. Es ist nicht fair, dieses Problem an Kinder und Enkel in die zweite Hälfte des Jahrhunderts zu verschieben!

Das sind alles keine guten Nachrichten, und vielleicht denken einige auch, wir schaffen das eh nicht schnell genug, dann brauchen wir uns auch nicht anstrengen. Aus der Vergangenheit können wir aber auch lernen, dass einiges geht, was viele für utopisch und nicht realistisch gehalten haben – hier in Leipzig sei an Öffnung der Grenzen der DDR erinnert, wer hat das Anfang 1989 für möglich gehalten? Auch wirtschaftliche Umstellung kann sehr schnell gehen, wenn man wirklich will, was man zum Beispiel an der Umstellung der Wirtschaft im zweiten Weltkrieg gut belegen kann. Und auch in der Corona–Krise haben wir gesehen: Änderungen sind möglich, wenn man die Situation als echte Krise begreift.

Deshalb: Auch wenn wir die Wahrscheinlichkeit zur Erreichung des 1,5°-Ziels aus derzeitiger Sicht nicht als hoch einschätzen, der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad ist wesentlich (https://www.klimafakten.de/meldung/infografik-machen-05-degc-weniger-erderwaermung-wirklich-einen-unterschied). Der Einsatz für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit lohnt sich, für uns und für kommende Generationen, für die Menschen in Deutschland und erst recht für die Menschen in anderen Teilen der Welt.

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